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Ernst
Friedrich Georg Ruschenbusch
 Als
Dr.med. Ernst Ruschenbusch mit der gerade
erst 21jährigen jüngsten Tochter von Theodor
Harms vor den Traualtar der Hermannsburger Kreuzkirche
trat, festigte er damit die langjährigen freundschaftlichen
Beziehungen beider Familien auch im privat-persönlichen
Bereich, wie es bereits vier Jahre zuvor seine Schwester
Elsa getan hatte, als sie den jungen Pastor Max Harms,
einen Bruder des Braut, heiratete.
Die
Pastorendynastie der Harms prägte gemeinsam mit den
mit ihr verschwägerten Familien mehr als ein Jahrhundert
das kirchliche Leben Hermannsburgs und verlieh dem einst
unauffällig, bescheidenen Heidedorf das Besondere,
das man auch als „Hermannsburger Geist“ zu
bezeichnen pflegte, der durch Missionstätigkeit in
aller Welt bekannt wurde.
Das
war zunächst der herausragenden Persönlichkeit
von Ludwig Harms geschuldet, teilweise auch auf seinen
kämpferischen Bruder Theodor zurückzuführen.
Aber auch beider Vater Christian Harms, seit 1817 Pastor
in Hermannsburg, wirkte bereits als vorbildlicher Lehrer
und Erzieher seiner Gemeinde. (Vgl. Achim Gercke: Hermannsburg,
die Geschichte eines Kirchenspiels, 2. Aufl., Hermannsburg
1988, S. 58 f.) Ludwig Harms verband hohen Intellekt mit
Unbedingtheit des Glaubens und enormer Willensstärke
und besaß dazu offensichtlich eine immense Überzeugungskraft.
So wurde er zu einer – durch viele Zeugnisse belegten
– charismatischen Persönlichkeit mit Einfluss
weit über die Grenzen seiner unmittelbaren Wirkensstätte
hinaus. Die protestantische Missionsbewegung in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde für ihn Anstoss
zur Tat und führte ihn zur Gründung eines Werkes,
das zuerst als „Hermannsburger Mission“ und
später im „Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen“
noch heute seinen Platz behauptet (dazu: Vision. Gemeindeweltweit.
150 Jahre Hermannsburger Mission und Ev.-luth. Missionswerk
in Niedersachsen; Hermannsburg 2000).
Bei
seinem jüngsten Bruder und Mitstreiter Theodor, der
sowohl im Pastorenamt als auch in der Mission 1865 sein
Nachfolger wurde, verbanden sich die kirchlichen Aktivitäten
dann stärker zu einer Einheit von Politischem und
Religiösem.
Welfische Opposition und lutherisch Konservatives gegenüber
der neuen preussischen Herrschaft führten zu einer
Anti-Bismarck-Haltung und in dessen Kulturkampf zur „Separation“
von der einknickenden Landeskirche und zur Gründung
der Hermannsburger Kreuzgemeinde als evangelisch-lutherische
Freikirche. Auch hier standen ein Harms und Major Georg
Conrad Ruschenbusch Seite an Seite. Letzterer war einer
der Initiatoren der Separation von 1878 (A. Gercke, S.
66). Der Übergang von zwei Dritteln der Gemeinde
in die Neugründung zeigte das seltene Treueverhältnis
der Hermannsburger zu ihrem Pastor.
1894,
im Jahr seiner Eheschließung mit Berta Harms, ließ
sich Dr. Ernst Ruschenbusch in Hermannsburg nieder. Er
war jung, modern ausgebildet und 1890 in Erlangen zum
Dr. med. promoviert. Das Thema seiner Dissertation lautete:
„Über Tuberkulose der Lymphdrüsen“,
ein zu dieser Zeit nach den Entdeckungen Robert Kochs
hochaktuelles Forschungsgebiet.
Erwähnt
werden sollte auch noch seine streng welfisch und christlich
geprägte Erziehung. Als Schüler hat Ernst Ruschenbusch
mal ein Bismarck-Bild zerschlagen … und musste deshalb
das Gymnasium wechseln! Natürlich hielt er die welfische
Tradition auch als Arzt in Hermannsburg hoch und ließ
sich von dem vorbeiziehenden Nachtwächter zu später
Stunde gerne ein hannoversches Lied blasen!
Bei seinem Begräbnis soll ein Vertreter des Königshauses
dabei gewesen sein. Ebenso wie übrigens auch eine
Delegation der Erlanger Burschenschaft Frankonia, zu der
er bis zu seinem Tode die Verbindung gehalten hat.
Die
erste Praxis und Wohnung des Dr. Ruschenbusch waren im
Hause Billingstraße 26 (heute Betten-Greinus). Das
Haus gehörte dem Sägewerksbesitzer Meyerhoff.
Von 8.00 bis 10.00 Uhr morgens wurden die Patienten behandelt,
die in die Praxis kamen. Anschließend machte der
Doktor Hausbesuche im Ort.
Nachmittags war dann noch einmal eine Stunde Praxis, und
dann stand ein Kutschwagen vor der Tür. Auf dem Bock
der Bauer Hiestermann, mit Spitznamen „der latinsche
Bur“ – wahrscheinlich, weil er mal eine Lateinschule
besucht hatte. Jetzt ging es zu Hausbesuchen über
Land, in die Außendörfer, zu den Einzelhöfen.
In Notfällen holten die Bauern den Doktor aber auch
mit eigenen Kutschen ab. Wirklich nur in Notfällen!
Dr.
Ruschenbusch hat manchem Bauern gehörig den Marsch
geblasen: „Den Tierarzt holt Ihr sofort, wenn Pferd
oder Kuh krank sind, aber um Eure alte schwerkranke Mutter
sorgt Ihr Euch nicht, die schon längst mal zum Arzt
müsste!“
Natürlich schafften dem Doktor solch deutliche Worte
keine Freunde.
Überhaupt hielt er stets etwas Abstand zu den Leuten,
was diese auch gar nicht anders wünschten und es
ihm auch nachsahen, dass er kein Platt sprach. Aber er
verstand es natürlich.
Im
Übrigen war er ein sehr belesener und gebildeter
Mann, der gemeinsam mit seiner Frau die damals moderne
europäische Literatur (Tolstoi, Dostojewski, Zola,
Maupassant usw.) las.
Landarzt
konnte damals kein Mediziner sein, der nicht auf allen
Gebieten erfahren war. So behandelte Dr. Ruschenbusch
Patienten zu Hause, die jeder Arzt heute ins Krankenhaus
schicken würde.
Überliefert sind zum Beispiel seine langfristige
und erfolgreiche Behandlung zweier vom Blitz Getroffenen
– das muss im Mai 1910 im Barmbosteler Moor gewesen
sein, wo drei Torfarbeiter umkamen und mehrere verletzt
wurden – und einige Opfer von Kreuzotterbissen.
Auch Zähne hat Dr. Ruschenbusch gezogen. Bei einem
solchen Unternehmen sollen mal Sohn (Patient) und Vater
(Begleitperson) gemeinsam in Ohnmacht gefallen sein.
Das besondere Interesse des Doktors galt der Geburtshilfe.
Er wollte moderne Methoden bei der Niederkunft und bei
der Betreuung von Schwangeren und jungen Müttern
durchsetzen. Dabei stieß er häufig auf Unverständnis
und stures Festhalten an Althergebrachtem: „Dat
hett wi schon immer so mokt!“
Die Hebammen müssen es nicht einfach gehabt haben
mit dem „neumodschen“ und energischen Doktor.
So wurde noch nach Jahrzehnten in der Familie die abenteuerliche
Geschichte von der Geburtshilfe im Planwagen erzählt.
Fast eine Gruselgeschichte mit den entsprechenden Zutaten:
stockdunkle Nacht, ein schlimmes Unwetter, „fahrendes
Volk“ weit draußen vor dem Ort, ein pflichtbewusster
Arzt, ein nasser mürrischer Kutscher und eine verängstigte
Hebamme …
In
Hermannsburg wirkte damals eine uralte Hebamme, Christine
Rabe, seit Jahrzehnten im Dienst, schon an die 70 Jahre
alt, die zwar über einen riesengrossen, aber natürlich
völlig veralterten Erfahrungsschatz verfügte.
Die war nicht gewillt, sich den Forderungen des jungen
Doktors anzupassen.
Dr. Ruschenbusch holte sich daraufhin als neue Hebamme
die junge Frau Caroline Dehning, geb. Meyer, die ihre
Fachausbildung an der Hebammenschule Celle absolviert
hatte und über beste Empfehlungen verfügte.
Ganz ohne Kampf ging dieser Wechsel aber nicht über
die Bühne, da die alte Hebamme ihren Platz nicht
räumen wollte. Dr. Ruschenbusch blieb konsequent,
ermunterte die Familien, die neue Hebamme anzufordern,
und blieb schließlich Sieger.
1907 wurde für Ruschenbuschs Wohnung und Praxis das
Haus Nr. 283 als Fachwerkhaus gebaut. Heute ist es Lotharstrasse
14 an der Ecke zur Georg-Haccius-Straße.
Leider war es dem Doktor nicht mehr lange vergönnt,
dieses neue Haus zu bewohnen.
Seine
Witwe starb am 16.11.1943 in Hermannsburg. Sie war eine
schreibgewandte Frau, die sowohl im „Hermannsburger
Boten“ als auch in der „Celler Zeitung“
einzelne Beiträge publizierte, zumeist aus dem Leben
ihres Vaters. Ihr Grab wird noch von mir gepflegt.
Ernst
Ruschenbusch hatte zwei Töchter:
Irmgard (1896-1942) litt leider an einer unheilbaren psychischen
Krankheit. Sie wurde während der Herrschaft des Nationalsozialismus
von verbrecherischen Ärzten in der Nervenheilanstalt
Hadamar umgebracht.
Elsa, * 02.07,1897 zu Hermannsburg, (+ 23.11.1984 zu Güstrow,
Mecklenburg, oo 31.11.1924 mit dem Bibliothekssekretär,
später Bibliotheksinspektor Hans Schulze * 10.05.1890
zu Hannover, + 13.01.1970 zu Potsdamm) lebte mit ihrem
Mann von 1926 bis 1940 in Hannover, sodann bei bzw. später
in Potsdam bis 1970, von dort an bis zu ihrem Tode bei
mir und meinem Mann in Güstrow.
(Dieser Bericht
stammt von Frau Prof. Dr.
Anneliese Claus-Schulze,
Enkelin von Dr. Ernst Ruschenbusch)
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